RA Ernst Medecke, Klaus-Groth-Str.
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ernst.medecke@
Büro:
Brigitte Rohlsen
Unser Aktenzeichen:
M - 216/09
(bitte immer angeben)
Hamburg, 20.09.2009
Me/Wo
Gnadenantrag
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich wende mich ausweislich anliegender Originalvollmacht von Herrn Thomas Wüppesahl an Sie.
Herr Wüppesahl ist unter der Anschrift Kronsberg 31 in 21502 Geesthacht-Krümmel wohnhaft, war lange Jahre Polizeibeamter in Hamburg und wurde durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 07.07.2005 wegen tateinheitlich versuchter Beteiligung an einem Verbrechen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Hinblick auf den langen Satz der Tat, die hinsichtlich der im Wesentlichen angewendeten Normen durch § 30 StGB zum Ausdruck gebracht wird, ist darauf hinzuweisen, dass es keinerlei Personen oder Sachschaden gegeben hat, der der Strafzumessung zugrunde lag. Auch nach Überzeugung des erkennenden Gerichts lagen Vorbereitungshandlungen der Tat weit vor dem Versuchsstadium.
Nach der Rechtskraft des Urteils wurde Herr Wüppesahl aus der Untersuchungshaftanstalt Hamburg im März 2006 in die Justizvollzugsanstalt Billwerder verlegt. Im Dezember 2006 schließlich wurde er aus Gründen, die nicht er zu vertreten hat, in die Justizvollzugsanstalt Tegel in Berlin verlegt, dort wurde er im Mai 2007 in den offenen Vollzug in die Justizvollzugsanstalt Düppel verlegt.
Nachdem Zwei Drittel der verhängten Strafe am 23.Oktober 2007 verbüßt waren, wurde die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hamburg durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin vom 08.10.2007 zur Bewährung ausgesetzt. Herr Wüppesahl hat sich seitdem strafffrei geführt, wie er auch sein ganzes Leben vor der Verurteilung keine Vorstrafen hatte. Er hat allerdings erhebliche Schwierigkeiten, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen.
Herrn Wüppesahl wurde nunmehr in seiner Heimatstadt Geesthacht angetragen, für ein öffentliches Amt zu kandidieren. Nachdem der Bürgermeister der Stadt Geesthacht vor
einigen Wochen verstorben ist, ist diese Stelle ausgeschrieben worden. Herr Wüppesahl ist von vielen persönlich bekannten Personen, von Bürgerinitiativen u.a. zur Kandidatur aufgefordert worden.
Herr Wüppesahl wohnt in Geesthacht-Krümmel. Im Stadtteil Krümmel ist das Atomkraftwerk, das das Sorgenkind der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung und wohl auch des Bundesumweltministers ist. Dieses Atomkraftwerk muss ständig vom Netz genommen werden. Auch nach einer angeblich vollständigen Revision ist nun bereits wieder eine Abschaltung erfolgt. Viele Menschen in Geesthacht und Umgebung fühlen sich bedroht. Sie sehen sich durch die Verwaltung nicht in ihren Interessen gegen das Atomkraftwerk vertreten und haben den Verurteilten aufgefordert, für das Amt des Bürgermeisters in Geesthacht zu kandidieren. Personen aus allen Bereichen der örtlichen und überörtlichen Bevölkerung, parteipolitisch gebundene wie auch parteilose Menschen, aber Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerinitiativen drängen Herrn Wüppesahl geradezu zu einer Kandidatur.
Herr Wüppesahl ist qualifiziert, weil er nicht nur für vier Jahre Bundestagsabgeordneter war, sondern auch von 1982 bis 1986 Ratsherr der Stadt Geesthacht sowie Kreistagsabgeordneter im Kreistag des Landkreises Herzogtum Lauenburg war. Im Kreistag war er auch für zwei Jahre Fraktionsvorsitzender. Er ist mithin ein Kenner der kommunalen Verwaltung.
Im Rahmen des Aufstiegs im Polizeidienst hat Herr Wüppesahl die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Hamburg absolviert und mit dem Abschluss Diplom-Verwaltungswirt im Jahr 1994 abgeschlossen. Eine weitere Ausbildung als Wirtschaftsmediator wird in wenigen Tagen abgeschlossen sein.
Schließlich ist Herr Wüppesahl auch bekannt als Kläger des "Wüppesahl-Urteils", das er vor dem Bundesverfassungsgericht zu den Rechten von Abgeordneten erstritt ("2 BVE 1/88).
Der Kandidatur von Herrn Wüppesahl steht § 45 StGB entgegen, da er wegen einer Tat, die gem. § 12 StGB als Verbrechen gilt, zu Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wurde und somit gem. § 45 I StGB für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit verloren hat, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen. Gem. § 45 a I StGB wird der Verlust der Fähigkeiten, Rechtsstellungen und Rechte mit der Rechtskraft des Urteils wirksam. Gem. § 45 a II StGB wird die Dauer des Verlustes einer Fähigkeit oder eines Rechts von dem Tag angerechnet, an dem die Freiheitsstrafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist. Im vorliegenden Fall ist die Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten vom 25. Oktober 2004 bis zum 23.Oktober 2007 verbüßt worden, bevor nach Ablauf von Zweidritteln der Strafzeit die Reststrafe durch Beschluss des Landgerichts Berlin zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die auf drei Jahre festgesetzte Bewährungszeit endet am 23.10.2010. Der Verlust der Fähigkeit hingegen, Rechte aus öffentlichen Ämtern wahrzunehmen, also das passive Wahlrecht wird gem. § 45 a II Satz 1 von dem Tage an gerechnet, an dem die Freiheitsstrafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist. Gem. § 45 a III StGB wird dann, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung oder im Gnadenwege ausgesetzt worden war, die Bewährungszeit in die Frist eingerechnet, wenn nach deren Ablauf der Strafrest erlassen wird. Mit dem Erlass der Reststrafe ist nach dem 23.10.2010 zu rechnen, so dass nach dem Wortlaut von § 45 a II von diesem Tage an die Dauer der Zeit des Verlustes der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden zu berechnen wäre. Selbst wenn dann gem. § 45 a III die Bewährungszeit in die Frist eingerechnet wird, so würde der Verlust der Fähigkeiten immerhin noch für zwei Jahre, also bis zum 23.10.2012 bestehen.
Gem. § 45 b StGB kann das Gericht gem. § 45 I, II verlorene Fähigkeiten und Rechte
wiederverleihen, wenn der Verlust die Hälfte der Zeit, die er dauern sollte wirksam gewesen ist. Dies würde nach der günstigsten Berechnung bedeuten, dass eine Wiederverleihung der Rechte gem. § 45 b StGB frühestens am 23.10.2011 möglich ist.
Die Bewerbungsfrist für die Stelle des Bürgermeisters in der Stadt Geesthacht endet am 26. Oktober 2009. Somit ist es ausgeschlossen, über einen Antrag gem. § 45 b StGB zu einer Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters der Stadt Geesthacht zu kommen. Herrn Wüppesahl wird also die Möglichkeit genommen, sich in einer ihm angedienten
Tätigkeit -falls er denn gewählt wird- zu bewehren, obwohl er unter Bewährung steht, weil die Bewährung mit einem Verbot bewehrt ist.
Aber eine Wiederverleihung ist auf dem Gnadenwege unabhängig von den Voraussetzungen des § 45 b StGB möglich (vgl. Horn in SK-STGB, § 45 b, RN 7; so auch Fischer StGB, 56. Aufl., § 45 b, RN 5). Ein solcher Gnadenakt stellt auch nicht die Entscheidung über die Wiederverleihung von Rechten aus einem erloschenen Beamtenverhältnis dar und verursacht damit dem Staat Kosten -wie es der damalige Bundespräsident von Weizsäcker beim Gnadenantrag für den früheren Verfassungsschutzpräsidenten Otto John durch Gewährung einer Teilpension veranlasste- , sondern gibt nur der betroffenen Bevölkerung die Gelegenheit, den Kandidaten auf den Stimmzettel zu bekommen, den Teile von ihr wählen wollen und der für den Fall seiner Wahl dann auch von ihr bezahlt wird und nicht von dem Bundesland, das für die Gnadenentscheidung zuständig ist.
Das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 07.07.2005 erfolgte zur Geschäftsnummer 622 Ks 25/04, das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft hatte die Geschäftsnummer 6500 Js 139/04.
Ich beantrage für Herrn Wüppesahl,
im Wege des Gnadenerweises die sich aus § 45 I StGB ergebene Rechtsfolge aufzuheben und Herr Wüppesahl mit sofortiger Wirkung die verlorenen Rechte wiederzuverleihen.
Für ggf. weiter erforderliche Mitteilungen oder die Übersendung von Unterlagen stehe ich zur Verfügung. Im Übrigen sehe ich Ihrer Antwort entgegen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Medecke
Rechtsanwalt